Kämpfe um Fort Hahneberg?

In der Geschichte des Fort Hahneberg gib es einige schlecht dokumentierte Zeiträume. Besonders das Ende des Zweiten Weltkrieges zählt dazu. Dazu sind nur wenige, oft auch erst viele Jahre später aufgeschriebene Berichte von Zeitzeugen vorhanden, originale Dokumente kaum. Insbesondere bei der Beschreibung von Krieg und totalitärem Staat mischen sich oft die wenigen Fakten mit Bewertung aus unserer heutigen Sicht, während wiederholte Zusammenfassungen Details und Ungeklärtes verwischen. Aus Anlaß einer Veröffentlichung der Berliner Tageszeitung »Tagesspiegel« nahmen wir uns des Themas der Verteidigung Berlins um Fort Hahneberg an. Ein weiteres, ebenso noch aufzuklärendes Thema werden Erschießungen im Fort Hahneberg sein.

Im Neuigkeitenbrief für Spandau der Berliner Tageszeitung »Tagesspiegel« am 21. April 2020 war zu lesen:
»Und wann war Kriegsende in den anderen Ortsteilen? Ich habe Urte Evert im Homeoffice angefunkt und um Rat gebeten. Sie ist die Museumschefin der Zitadelle und Historikerin, sie hat fürs DHM [Deutsches Historisches Museum] und im Luftwaffen-Museum in Gatow gearbeitet. Evert stöberte in ihren Büchern und half prompt.
[…]
Am 26. April …
Um Fort Hahneberg gab es weiter erbitterte Kämpfe.«
Als ihre möglichen Quellen werden folgende »Lektüretipps der Museumschefin« genannt:
– Helmut Bräutigam: »Spandau 1945. Das Kriegsende in einem Berliner Bezirk« Berlin 1997;
– Wolfgang Ribbe: Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke. Band 6 Spandau. Berlin 1991;
– Peter Liebig, »Die Schlacht um Berlin und das Ende des Dritten Reichs 1945«, Berlin 2020.

Am 28. April 2020 wurden durch den Tagesspiegel Nachrichten weiterer Leser veröffentlicht. So zum Beispiel vom Ersten Vorsitzenden der Heimatkundlichen Vereinigung 1954 e.V., Karl-Heinz Bannasch:
»In Staaken am Weinmeisterhornweg hat es noch am 2. und 3. Mai viele Tote gegeben. Ich habe das Kriegsende mit anderen Wissenschaftlern erforscht, zum Beispiel mit Helmut Engel, der Landeskonservator war. Im Zuge der Kämpfe ums Regierungsviertel wurden die Deutschen Richtung Westen gedrängt. Hier bildete der Bereich Heerstraße und Altstadt Spandau eine Art Trichter, in den die Soldaten getrieben wurden. Gerade im Bereich der Havelbrücken und der Altstadt hat es zwischen dem 27. April und dem 2. Mai Kämpfe gegeben – der Rathausturm wechselte mehrfach hin und her. Durch russische und deutsche Zeitzeugen wissen wir, dass die Deutschen über die Heerstraße, Schmidt-Knobelsdorf-Straße Richtung Westen drängten. Im Bereich Scharfe Lanke und Weinmeisterhorn hatten die Russen einen Stützpunkt eingerichtet.«

Diese kurzen Nachrichten waren für uns der Anlass, selbst in uns vorliegender Literatur zu suchen, welche Auskünfte zum Fort Hahneberg im April und Mai 1945 zu finden sind. Was können wir von möglichen Kämpfen um Fort Hahneberg belegen?

Volkssturm bei Schulzendorf
Ein Volksturmmann mit Rakten-Panzer-Büchse (»Panzerfaust«) in behelfsmäßig abgedecktem Schützengraben auf freiem Feld, Ende April 1945. Bundesarchiv CC-BY-SA 3.0

Die umfassendste Veröffentlichung zur Geschichte des Fort Hahneberg ist das Buch, das wir hier als erstes ausführlich zitieren. 2004 wurde es von der Heimatkundlichen Vereinigung Spandau 1954 e.V., dem Förderkreis Museum Spandau, veröffentlicht:
– Manfred Paul Schulze: »Fort Hahneberg. Das einzige Außenfort der Festung Spandau«. Auf Seite 185 schreibt er:
»Eine der Haupt-Ausfallstraßen, die Heerstraße, führt unmittelbar am Fuß des Forts Hahneberg vorbei. Es kann davon ausgegangen werden, dass das Fort Hahneberg in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges als Befehlsstelle, Versorgungsstützpunkt und Hauptverbandsplatz diente.«
Diese Nutzung wird in dem Buch »Berlin. Die gesundheitliche Versorgung während der Luftangriffe 1940–1945« von Sigurd Peters und Klaus Topel erläutert. Es erschien 2015. Auf Seite 115 schreiben die Autoren:

Manfred P. Schulze, Fort Hahneberg

»Beim Rückzug der deutschen Truppen bei der Einschließung Berlins im April 1945 kommt es zu kurzfristigen Einrichtungen von »Hilfslazaretten« – ein Begriff der nicht definiert ist. Gemeint sind damit militärische Rettungsstellen. Der Begriff Hauptverbandplatz ist meist schon zu hoch angesetzt. Das alte Fort Hahneberg im westlichen Ortsteil Staaken dient zu der Zeit als Hauptverbandplatz für die zurückweichenden deutschen Truppen. Die Verwundeten wurden danach in das Hilfslazarett in der Seeburger Straße (10. Volksschule) in Spandau verlegt. [Quelle: Grothe, J., Spandau in Schutt und Asche, in: Spandau. Eine Stadt verändert ihr Gesicht. Vierzig Jahre Spandauer Baugeschichte, Berlin 1985, S. 16–19]«

Manfred Paul Schulze schreibt weiter auf Seite 185: »Bereits am 24. April 1945 war das nur 4 km westlich von Staaken gelegene Dorf Dallgow von sowjetischen Truppen besetzt worden. Für eine Verteidigung des Forts Hahneberg war zuvor nicht gesorgt worden. Es fehlte an allem, besonders aber an Artillerie, um den Gegner vom Fort abzuhalten. Zu Kampfhandlungen in und um das Fort ist es nach Augenzeugenberichten nicht oder nur in geringem Umfang gekommen. So berichtet ein kriegsversehrter Soldat, der mit seiner Kampfgruppe von der Wilhelmstadt kommend in den Staakener Raum zur Sicherung einer Straßenkreuzung kommandiert war. [Quelle: Gerhard Hinz, Spandau im Zweiten Weltkrieg]
»Starke sowjetische Verbände kamen von Westen über Seeburg. Sie ließen das Fort Hahneberg links liegen, auch die Heerstraße rechts vom Flugplatz Staaken überschritten sie nicht. Weil wir knapp an Munition waren, holten wir uns welche vom Flugplatz Staaken. Die Patronen, die wir bekommen hatten, taugten nicht viel, jede vierte oder fünfte blieb im Maschinengewehrlauf stecken. Etwa 400 Meter östlich von uns befand sich ein Barackenlager mit Fremdarbeitern. Die Sowjets waren von Norden her eingedrungen. Wir konnten von uns aus gut beobachten, wie sie die Leute dort nach Nationalitäten aufgestellt erfassten. Auf der nordwestlichen Seite des Flugplatzes befand sich gleichfalls ein Barackenlager. Am späten Nachmittag haben wir unsere Stellung über die Heerstraße hinweg in südlicher Richtung zum Fort Hahneberg hin verlassen. Wir kamen von Norden über den Festungswall direkt in das Fort. Ich habe keine Soldaten gesehen, die sich dort zur Verteidigung verschanzt hätten. Hier erhielt ich die erste warme Mahlzeit seit Tagen, eine Portion Erbsensuppe. Im Fort befanden sich viele Soldaten, die sich vorbereiteten, den Hahneberg zu verlassen. Das Ziel des Rückzuges war Pichelsdorf. Und so kam es auch, zurück blieben nur die Verwundeten.« [Zeitzeugenberichte Peter Gerle]

Nach einem weiteren Zeitzeugen wurde auf Befehl das Fort Hahneberg in den Abendstunden des 26. April 1945 unter Mitnahme aller Waffen geräumt. Über den Hahnebergweg zogen sich im Schutz der Dunkelheit die deutschen Truppen nach Osten Richtung Heerstraße zurück. Dabei wurde das von sowjetischen Soldaten besetzte ehemalige Gut Amalienhof, das zu diesem Zeitpunkt ein Altenheim beherbergte, zurück erobert. Die aus dem Fort Hahneberg abziehenden deutschen Soldaten wurden am Morgen des 27. April zur Verteidigung der Freybrücke eingesetzt.

Zum gleichen Zeitraum liegt noch ein weiterer Bericht vor: »Wir erhielten den Befehl, uns in das Fort Hahneberg abzusetzen. Am späten Nachmittag des 25. April 1945 betraten wir, ein Häuflein von zehn Arbeitsmännern, ohne schwere Waffen durch einen Hohlgang das Fortgelände und begaben uns befehlsgemäß auf einen hochgelegenen Wall. Wir gruben uns notdürftig ein und sicherten das vor uns liegende Gelände, soweit man von einer Sicherung überhaupt reden kann. Schwere Waffen waren nach meiner Erinnerung nicht eingesetzt und von uns wurde das Fort auch nicht unmittelbar verteidigt. Am Mittag des 26. April 1945 war der Feind soweit an das Fort herangerückt, daß er uns mit Granatwerfern beschießen konnte. Es dürfte gegen 16 Uhr gewesen sein, als unmittelbar neben meinem Kameraden Josef Schneider, wir lagen auf Tuchfühlung, eine Werfergranate einschlug. Ich bekam nur ein paar Spritzer ab, ihn aber hatten die Splitter buchstäblich durchsiebt. Kurt Stahl und ich trugen unseren toten Kameraden nach unten in einen Raum, den bereits mehrere Tote und Schwerverletzte lagen. Nach kurzem Gedenken verließen wir diesen Raum und begaben uns wieder auf den Wall. Der Wall und das vor uns liegende Gelände waren zwar weiterhin Ziel von Granatwerfern, wir kamen aber mit heiler Haut davon. Bei Anbruch der Dunkelheit stand plötzlich eine Rot-Kreuz-Schwester am Rand unserer Deckung. Wir und sie erschraken gleichermaßen. »Ihr seid noch hier?« war ihre Frage. Dann teilte sie uns mit, dass alle Gesunden und nur leicht Verwundeten sich zum Reichssportfeld durchschlagen sollten. Natürlich verließen wir darauf sofort das Fort Hahneberg. Ob wir wirklich die Letzten waren, die kampflos diese Festung räumten, weiß ich nicht.« [Zeitzeugenbericht Helmut Kehr]

Über die letzten Stunden des Forts Hahneberg, vor der sowjetischen Besetzung, gibt es keine verlässlichen Berichte. In den Räumen befand sich ein Verbandsplatz, der mit einer großen Zahl von verletzten Wehrmachtsangehörigen belegt war. Der einzige Bericht davon stammt von einen Kriegsfreiwilligen, der in unmittelbarer Nähe des Hahnebergs schwer verwundet wurde.
»Wir zogen uns in Richtung des Forts Hahneberg zurück. Man sagte uns, wer in Gefangenschaft käme, würde von den Russen erschossen werden. Ich wurde schwer verwundet und zum Hauptverbandsplatz im Fort Hahneberg gebracht, das war der 26. April 1945. Untergebracht und versorgt wurden wir in den Kasematten des Forts. In den frühen Morgenstunden des 27. April 1945, es war noch dunkel, brachte man uns auf von Pferden gezogenen Plattenwagen zum Reservelazarett in der Seeburger Straße, dem Gebäude der 10. Volksschule. Man legte uns in zwei Reihen übereinander; die besonders schwer Verwundeten lagen oben. Wir wunderten uns, dass der Transport unbehelligt von den sowjetischen Truppen erfolgen konnte. Im Lazarett nahm man uns die Soldbücher und andere Papiere sowie Uniformteile ab. Wir sollten nicht als Wehrmachtsangehörige erkennbar sein.« [Zeitzeugenbericht Hanns-Werner Klünner]

Gerhard Hinz

Wesentlich genauer als im Buch »Fort Hahneberg« beschreiben Sigurd Peters und Klaus Topel in ihrer Veröffentlichung auf Seite 213 die Quelle der Zeitzeugenberichte:
»Besonders intensiv hat sich Gerhard Hinz von der Spandauer heimatkundlichen Vereinigung mit den letzten Tagen des Krieges auch aus der Sicht von Zeitzeugen in Spandau befasst. […]
Das Fort Hahneberg im Westen von Spandau dient zu der Zeit als Hauptverbandplatz für die kämpfende deutsche Truppe. Im Verlauf der Rückzugsgefechte werden die Verwundeten in das Hilfslazarett in der 10. Volksschule in Spandau, Seeburger Straße 10 verlegt. Diese Schule ist kein Hilfskrankenhaus. … [Quelle: Grothe, J., Spandau – Eine Stadt verändert ihr Gesicht, E. Lezinsky Verlag, 1985, S. 16–19] Nicht alle Verwundeten können in das Reservelazarett Seeburger Straße (auch als solches nicht verzeichnet – d. Verf.) gebracht werden. Sie werden (vermutlich) von den Russen erschossen. [Gerhard Hinz, Spandau im Zweiten Weltkrieg, 2002, S. 108]«

Alle von Manfred Paul Schulze zitierten Zeitzeugenberichte wurden 2002 im Buch »Spandau im Zweiten Weltkrieg« durch Gerhard Hinz veröffentlicht. Gerhard Hinz gibt in den Fußnoten auch die Namen der Zeitzeugen an, die Manfred Paul Schulze ebenso wegläßt, wie deren Zugehörigkeiten. Gerhard Hinz steuert außerdem noch den Bericht einer Zeitzeugin bei, die eine weitere Nutzung des Forts zu dieser Zeit erläutert:
»Nach meiner Entlassung aus dem Arbeitsdienst in Schlesien im Jahre 1942 arbeitete ich wieder in meiner früheren Dienststelle, dem Zentralarchiv für Wehrmedizin, das im Berliner Reichstagsgebäude untergebracht war. Unsere Aufgabe war unter anderem, die Krankenblätter sämtlicher verwundeten und erkrankten deutschen Soldaten zu erfassen und zu verwalten. Auf Anforderung von Krankenhäusern, Lazaretten und Dienststellen wurden Unterlagen vervielfältigt und versandt. Die Originale verblieben immer im Archiv. Das Archiv wurde 1943 der zunehmenden Luftangriffe wegen nach Schlesien verlagert. Als auch Schlesien nicht mehr sicher war, begann man, die neu anfallenden Krankenblätter im Fort Hahneberg zu deponieren, das war Anfang 1944. Ich musste mit nach Berlin gehen.

Krankenblatt

Die Krankenblätter wurden in den Kasematten des Forts gelagert, das Personal arbeitete in Baracken. Das Fort diente nun nicht mehr als Kaserne. Auf dem Fort befanden sich aber leichte Flak und sogenannte »Peiler« des Fliegerhorstes Staaken, die von Luftwaffenhelferinnen bedient worden. Die Luftwaffenhelferinnen hatten ihre Unterkünfte im Bereich des Forts. Ich bedauerte die Mädchen immer, wenn sie bei Alarm zu ihren Waffen und Geräten rennen mussten. Das Fort durfte von Fremden bei Fliegeralarm aufgesucht werden. Einige Kasematten dienten als Schutzräume. Auch Soldaten des Fliegerhorstes suchten bei Alarm Schutz in den Kasematten. Bombenschäden habe ich in der Festungsanlage nicht feststellen können. Den Beschäftigten war es gestattet, wertvollen Hausrat und Schmuck mit in das Fort zu bringen und in der sicheren Räumen aufzubewahren.« [Zeitzeugenbericht Liselotte Heda; in Gerhard Hinz, Spandau im Zweiten Weltkrieg, 2002, S. 103]

Fritz Pietrowiak

Einen weiterer Bericht stammt von Fritz Pietrowiak. Er veröffentlichte 2009 in Frankfurt am Main seine Erinnerungen unter dem Titel »Nur der Wille zählt«. Ab Seite 65 schreibt er:
»1.5.1945, 10.30 Uhr
Wir müssen uns absetzen nach Westen. Ich sage dem leitenden Offizier, dass das schwere MG
[Maschinengewehr] zu schwer ist, und erhalte einen Karabiner. Wir marschieren über Ruhleben nach Spandau. Dort Aufenthalt, da Brücke [Charlottenbrücke] unter schwerem Beschuss liegt. Wir stoßen über die gesprengte Brücke vor und stürmen durch Spandau. Unterwegs sehen wir Flüchtlinge mit Handwagen. Auf einmal Flugzeuggeräusche.
Wir sehen russische Jagdflugzeuge, wie sie auf deutsche Panzer schießen, die im freien Feld fuhren. Die Panzer hatten überhaupt keine Verteidigungsmöglichkeiten. Bei Staaken Aufenthalt. Über der Stadt auf Fort Hahneberg liegen 5 Panzer, etliche Maschinengewehre und Scharfschützen und beschießen die Straße, Granatwerfer und Pak
[Panzerabwehrkanone] kommen hinzu. Wir springen in die Entwässerungsgräben, rechts und links von der Fahrbahn, und robben über Verwundete und Tote. […]
Wir versuchen nicht die Hauptstraße entlangzuschleichen, sondern dringen von hinten in das Dorf ein.«

Diesen Ausbruch in Richtung Westen hatte auch Helmut Altner, bereits 1947 in seinem in Offenbach unter dem Titel »Totentanz Berlin« veröffentlichten Buch beschrieben. Sowohl Helmut Bräutigam als auch Gerhard Hinz verweisen in ihren Veröffentlichungen mehrfach auf diese Quelle und zitieren aus ihr. Der britische Berufsoffizier und spätere Historiker Tony Le Tissier ergänzte die zu einem Buch erweiterten Tagebuchnotizen um Anmerkungen, Fotos und Pläne. 2012 erscheint die erweiterte Ausgabe erstmals in deutscher Sprache im Berlin Story Verlag:
»Mittwoch, den 2. Mai 1945
[…]
Die Häuser sind wie abgesägt. Meist bis zum ersten Stockwerk. Die Keller eingestürzt. Und inmitten des Ziegeldickichts jagen Menschen umher. Springen durch Ruinen. Durch die Straßen. Nur ein Ziel. Nur eine Hoffnung: Nach dem Westen. Zur Armee Wenck. Hinweg aus der Trümmerwüste Berlins, dem großen Friedhof. Alles rennt. Springt durch Feuer. Der Totentanz hat begonnen. Und der große Mäher spielt zum Tanz. Mäht breite Furchen in die Reihen der Frauen, Kinder und Soldaten.« [S. 313]
»[…] Der Weg will kein Ende nehmen. Das Feuer will nicht nachlassen. Soll das den ganzen Tag so gehen?
Endlich ist es ruhiger geworden. Der Kampflärm bleibt hinter uns, der Wagen fährt im Schritt. Wir haben den Ort verlassen und fahren auf einem von Panzerketten aufgewühltem Feldweg. Links aus den Schützengräben auf dem Feld knallen Schüsse.
« [S. 322]
Le Tissier rekonstruierte, daß die Flucht aus Spandau über die Staakener Straße in Richtung Heerstraße beim Flugplatz Staaken ging und dort, westlich des Fort Hahneberg in Richtung Südwesten nach Döberitz. Autor und Herausgeber erwähnen das Fort nicht.

Ausbruch Mai 1945
Weg des Ausbruches aus Spandau, Anfang Mai 1945, in Richtung Döberitzer Heide. Grundlage, Luftbild vom 24.8.1943.
Helmut Bräutigam

Helmut Bräutigam zitiert in der Veröffentlichung der Geschichtswerkstatt »Spandau 1945« auf Seite 72 einen weiteren Bericht:
»In der Nacht von 2. zum 3. Mai versuchten an die zehntausend Menschen die Flucht nach dem Westen … Der Abmarsch erfolgte in drei Kolonnen …
[…]
In Staaken und an der großen Ausfallstraße nach Westen tobte der Kampf die ganze Nacht hindurch. Am Morgen des 4. Mai, genau 24 Stunden nach dem Abmarsch aus Westend, fand dieser mit vielen Hoffnungen angetretene »Marsch in die Freiheit« sein Ende.« [Erlebnisbericht von Kurt Winkler aus Forschungsgruppe für Berliner Nachkriegsgeschichte: Der erste Monat. Berlin im Mai 1945. Aus der Materialsammlung für die Geschichte der Stadt Berlin Unter der Viermächtebesatzung im Auftrag des Senators für Volksbildung und des Presseverbandes Berlin, Berlin 1953,S. 7f]

Auch Gerhard Hinz bringt noch einen weiteren, diesmal auch von ihm namentlich nicht genannten Zeitzeugen auf Seite 139 und verweist als Quelle auf eine ältere Buchveröffentlichung, an der er maßgebend mitarbeitete: »75 Jahre Spandauer Rathaus. Blicke in vergangene Zeiten«, herausgegeben vom Bezirksamt Spandau von Berlin in Zusammenarbeit mit der Heimatkundlichen Vereinigung Spandau 1954 e.V. im November 1988. Ärgerlich an dem Selbstzitat ist, daß »75 Jahre Spandauer Rathaus« ohne Quellenangaben im Text ist. So werden unter anderem auch Auszüge aus den Erinnerungen von Helmut Altner zitiert, ohne die Quelle deutlich zu machen. Am Schluß des Buches, auf S. 152 finden sich zwar Quellennachweise, die aber nicht zugeordnet sind.
Der Zeitzeuge berichtete:
»Gegen 15 Uhr ertönte das Signal zum Abmarsch. Die Spitzenpanzer rückten in Richtung Staaken an, die kämpfende Truppe um die Panzer massiert. Als die Panzer aus dem Feuerschutz der ersten Häusergruppe rollten, ging die Hölle los. Die Maschinengewehre der Sowjets lagen hinter dem Bahndamm, in Stellwerken, Wassertürmen und unter den Hausdächern der Siedlungshäuser, ihre Panzer standen hinter der Heerstraße und in Staaken, Artillerie auf dem Flugplatz und bei dem Hahneberg. Wie ein Präsentierteller bot sich der Brunsbütteler Damm.« [»75 Jahre Spandauer Rathaus«, Berlin 1988, S. 107]

Nur dieser Zeitzeuge und Fritz Petrowiak geben konkret schwere, aber sowjetische Waffen »Über der Stadt auf Fort Hahneberg« oder »bei dem Hahneberg« an. Gerhard Hinz und Helmut Bräutigam können durch die Vielzahl der Zeitzeugenberichte »die Kämpfe« auf den Ausbruchsversuch aus Ruhleben, am Rathaus Spandau vorbei, über den Brunsbütteler Damm und parallel laufendem Straßenzug von Staakener und Spandauer Straße in Richtung des Flughafen Staaken konkretisieren. Der fand aber ab dem 1. Mai und nicht um den 26. April 1945 statt.

Wie bereits oben zitiert, schlußfolgert Manfred Paul Schulze aus den ihm vorliegenden Quellen, »Für eine Verteidigung des Forts Hahneberg war zuvor nicht gesorgt worden. Es fehlte an allem, besonders aber an Artillerie, um den Gegner vom Fort abzuhalten.« [Manfred Paul Schulze, Fort Hahneberg, 2004, S. 185]
Gerhard Hinz hat dies so zusammengefaßt: »Für eine wirkungsvolle Verteidigung des Forts hatte man nicht gesorgt, es fehlten vorbereitete Stellungen auf den Wällen und schweren Waffen.« [Gerhard Hinz, Spandau im Zweiten Weltkrieg, 2002, S. 105]

Im Widerspruch dazu steht die Planung zur Verteidigung Berlins, die Helmut Bräutigam in der Broschüre »Spandau 1945. Das Kriegsende in einem Berliner Bezirk«, erschienen 1997, auf Seite 7 so beschreibt:
»Dem Gegner sollte in zwei Verteidigungsringen, die konzentrisch um das Zentrum Berlins lagen, Widerstand geleistet werden. Der erste Ring lag an der Peripherie Groß-Berlins und umfaßte zum Teil das Umland. Ein weiterer zog sich entlang des inneren S-Bahnrings. … Ziel war, die Truppen der Roten Armee noch vor Erreichen der Stadtgrenze abzufangen. Würde es ihnen dennoch gelingen, durch diese Linien zu dringen, sollten sie durch ein gestaffeltes System von Abwehrketten aufgehalten werden. Besonders der Raum um Fort Hahneberg, die Gegend um das Falkenhagener Feld und das Radeland waren mit Stellungen ausgebaut worden. Straßen- und Panzersperren bis in die Spandauer Innenstadtbereiche, an strategischen Punkten plaziert, ergänzten diese Abwehrstellungen. Im ganzen gesehen war das alles von einem überaus zweifelhaften militärischen Wert.« [Helmut Bräutigam, Spandau 1945, 1997, S. 7]
Auf Seite 45 fährt er fort: »In dem »Grundsätzlichen Befehl für die Vorbereitungen zur Verteidigung der Reichshauptstadt« vom 9. März 1945 wird die Anlage von sogenannten Stützpunkten befohlen. Dies sollten in der äußeren Verteidigungszone Berlins besonders befestigte Plätze sein. In und bei Spandau sollten folgende »Stützpunkte« eingerichtet werden: das Reichssportfeld, »Spandau« (nicht näher räumlich eingegrenzt), Fort Hahneberg, Radeland – und ein »Stützpunkt« mit der Bezeichnung »Julius-Turm«. [Bengt von zur Mühlen, Der Todeskampf der Reichshauptstadt, Berlin/Kleinmachnow 1994]
Während sich bei den erstgenannten Orten die Ausrüstung mit schweren Waffen (Artillerie) nachweisen läßt, ist dies bei der Zitadelle nicht der Fall.« Bereits auf Seite 9 übernimmt Helmut Bräutigam einen Hinweis von Gerhard Hinz:
»Die Rote Armee stieß aber das Falkenhagener Feld und gleichzeitig von Norden her Richtung Radeland vor. Staaken wurde nach und nach besetzt. Ohne Widerstand zu leisten zog sich die deutsche Besatzung des Fort Hahneberg zurück.« [Helmut Bräutigam, Spandau 1945, 1997, S. 9]

Abbruch an linker Pulverkammer
Ein Mitglied der ASG Fort Hahneberg bricht die Splitterschutzwand am Eingang zur linken Pulverkammer ab.

Der »Stützpunkt« Fort Hahneberg hat entweder nicht in geplantem Umfang bestanden oder ist nicht als solcher, die Truppen der Sowjetischen Armee bindender eingesetzt worden. Und sollte es vorbereitete Stellungen im Zusammenhang des geplanten Verteidigungsringes gegeben haben, waren diese entweder so unzureichend, daß sie für eine Abwehr nicht genutzt oder von der Sowjetischen Armee umgangen werden konnten. Der bekannte Archäologe und Heimatforscher Albert Ludewig wird am 13. Juli 1949 in der Tageszeitung »Telegraf«, in einem Artikel der von den Abbrucharbeiten im Fort berichtet, dagegen mit der Auskunft wiedergegeben, »Einigen Widerstand soll der einrückenden Roten Armee 1945 auf dem Hahneberg entgegengesetzt worden sein.«.

Ein ausführlicher Artikel der Fachzeitschrift »Bauwelt« zur baugeschichtlichen Bedeutung des Fort Hahneberg, erschienen im September 1990, faßt auf Seite 1632 die militärische Lage kurz zusammen, ohne Quellen zu nennen: »In den Kampfhandlungen der letzten Kriegstage war es noch einmal Stützpunkt und Verbandsplatz für die Verteidiger, ohne in dem verlorenen Krieg noch eine nennenswerte Rolle zu spielen.«
Auch die erste umfängliche Veröffentlichung der Arbeits- und Schutzgemeinschaft Fort Hahneberg e.V. aus dem August 1991, »Fort Hahneberg. Ein Stück Spandauer Geschichte wiederentdeckt«, erwähnt auf Seite 27 nur kurz den damaligen Kenntnisstand ohne dies mit Quellen zu belegen: »Gegen Ende des Krieges und besonders bei den Kämpfen um Berlin diente es außerdem als Lazarett. Im April 1945 zog die Rote Armee, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, in die alte Festung ein. Damit war die militärische Nutzung des Forts Hahneberg beendet.«

Broschüre Fort Hahneberg

In unserer 2018 veröffentlichten Broschüre »Fort Hahneberg. eine Festung, drei Jahrhunderte« hat Christoph Berndt ab Seite 21 die Kenntnisse wie folgt zusammengefaßt:
»Über die späteren Nutzungen des Forts gibt es wenig Dokumentation. Die meisten Informationen beruhen auf Berichten von Zeitzeugen. Die Angaben zur Genesenden-Einheit, in der verwundete Soldaten ihre Verletzungen auskurieren sollten, sind dürftig. Entweder warteten sie auf ihre Entlassung aus dem Wehrdienst, oder darauf wieder in den Krieg ziehen zu »dürfen«. Ebenso dünn ist die Erkenntnislage zu den Vorkommnissen gegen Ende des Krieges, als Fort Hahneberg Stützpunkt bei der letzten Verteidigung Berlins und auch Lazarett wurde.
Die hastig ausgehobenen Schützenlöcher auf dem Glacis um das Fort boten kaum Schutz und ohne schwere Waffen war eine Verteidigung gegen die Übermacht der Sowjetischen Armee erst recht aussichtslos. Eine Gruppe von etwa 300 Mann sollte sich in den Morgenstunden des 26. oder 27. April 1945 in Richtung Osten zum Reichssportfeld durchschlagen und leicht verwundete Soldaten dorthin mitnehmen. Eventuell wurden diese aber auch ins Lazarett in der Seeburger Straße gebracht.
Eine Gruppe Männer des Reichsarbeitsdienstes, die vom Rückzug nichts mitbekommen hatten, waren noch auf dem Wall in Stellung. Nach Granatwerferbeschuß und einem Hinweis einer Rot-Kreuz-Schwester zogen auch sie sich in Richtung Stadt zurück.
«

Nach der hier vorgelegten Übersicht in der Literatur vorhandener Angaben für April und Mai 1945 ist unklar, woher die Zusammenfassung der Historikerin Urte Evert zum Datum des 26. April 1945 rührt – »Um Fort Hahneberg gab es weiter erbitterte Kämpfe.«. Auch wenn hier nur eine der drei in der Veröffentlichung des Tagesspiegels genannten Literaturen durchgesehen wurde, wird jedoch in der Zusammenschau klar, daß die wenigen belastbaren Berichte, auf die sich die fast alle Veröffentlichungen stützen, im Wesentlichen aus einer Quelle kommen – der Sammlung von Zeitzeugenberichten durch Gerhard Hinz. Und diese Berichte hat Gerhard Hinz auf Seite 105 seines Buches in einer Überschrift zusammengefaßt: »Um Fort Hahneberg wurde nicht gekämpft«.

Verwandte Literatur

(in zeitlicher Reihenfolge ihrer Veröffentlichung)
– »75 Jahre Rathaus Spandau. Blicke in vergangene Zeiten«; Herausgegeben vom Bezirksamt Spandau von Berlin in Zusammenarbeit mit dem Kreis der Freunde und Förderer des Heimatmuseums Spandau »Heimatkundliche Vereinigung Spandau 1954 e.V.« aus Anlaß der 75jährigen Wiederkehr des Tages der Einweihung des Spandauer Rathauses am 15. September 1988, Berlin 1988
– Rainer König: »Das Fort Hahneberg der Festung Spandau«; in Bauwelt, Heft 33, 1990
– »Fort Hahneberg. Ein Stück Spandauer Geschichte wiederentdeckt«; Arbeits- und Schutzgemeinschaft Fort Hahneberg e.V., Berlin 1991
– Helmut Bräutigam: »Spandau 1945. Das Kriegsende in einem Berliner Bezirk«; Jugendgeschichtswerkstatt Spandau, Berlin 1997
– Gerhard Hinz: »Spandau im Zweiten Weltkrieg«; herausgegeben von der Heimatkundlichen Vereinigung Spandau 1954 e.V., Berlin 2002
– Manfred P. Schulze: »Fort Hahneberg. Das einzige Außenfort der Festung Spandau«; Heimatkundlichen Vereinigung Spandau 1954 e.V., Berlin 2004;
» hier zu kaufen
– Fritz Pietrowiak: »Nur der Wille zählt«; Frankfurt am Main, 2009
– Helmut Altner: »Totentanz Berlin«; Hrsg. Tony Le Tissier, Berlin 2014
– Sigurd Peters & Klaus Topel: »Berlin. Die gesundheitliche Versorgung während der Luftangriffe 1940–1945«; Berlin 2015
– »Fort Hahneberg. Eine Festung, drei Jahrhunderte«; Arbeits- und Schutzgemeinschaft Fort Hahneberg e.V., Berlin 2018;
» hier zu kaufen

Weitere Literatur

– Forschungsgruppe für Berliner Nachkriegsgeschichte: »Der erste Monat. Berlin im Mai 1945«; Aus der Materialsammlung für die Geschichte der Stadt Berlin unter der Viermächtebesatzung im Auftrag des Senators für Volksbildung und des Presseverbandes Berlin, Berlin 1953 (Verweis in H. Bräutigam)
– Wilhelm Tieke: »Das Ende zwischen Oder und Elbe«; Stuttgart 1981 (Verweis in H. Bräutigam)
– J. Grothe: »Spandau in Schutt und Asche, in: Spandau. Eine Stadt verändert ihr Gesicht. Vierzig Jahre Spandauer Baugeschichte«; Berlin 1985 (Verweis in Peters/Topel)
– Wolfgang Ribbe: »Geschichte der Berliner Verwaltungsbezirke. Band 6 Spandau«; Berlin 1991 (Verweis im Tagesspiegel)
– Bengt von zur Mühlen: »Der Todeskampf der Reichshauptstadt«; Berlin/Kleinmachnow 1994 (Verweis in H. Bräutigam)
– »Fünfzig Jahre danach. 1945–1995. Ein Streifzug durch die Nachkriegsgeschichte des Verwaltungsbezirks Spandau in Wort und Bild«; herausgegeben vom Kreis der Freunde und Förderer des Heimatmuseums Spandau. Heimatkundliche Vereinigung Spandau 1954 e.V., Berlin 1995 (Verweis in H. Bräutigam)
– Peter Liebig, »Die Schlacht um Berlin und das Ende des Dritten Reichs 1945«; Berlin 2020 (Verweis im Tagesspiegel)