Die Disziplinarabteilung im Fort

Diese Teil der Geschichte des Fort Hahneberg könnten wir fast ohne Unterlagen aus militärischen Archiven gut anhand zeitgenössischer Zeitungsberichte nachvollziehen. Militärische Angelegenheiten waren bis in die 1920er Jahre hinein regelmäßig Teil der Berichterstattung in den Tageszeitungen – von kurzen Notizen bis hin zu minutiöser Darlegung großer Übungen in der Döberitzer Heide.

Stresowplatz Spandau
Kaserne am Stresowplatz in Spandau auf einer historischen Postkarte

Fünf Jahre nach Fertigstellung des Fort Hahneberg wurde ihm durch die Militärverwaltung eine Nutzung zugeordnet. Am 1. Oktober 1893 zog die Disziplinarabteilung des Garde-Korps in die Festung. Bis zu diesem Zeitpunkt war diese Abteilung in der Stresow-Kaserne II untergebracht gewesen. In die Disziplinarabteilung wurden die Soldaten überwiesen, gegen die wegen Vergehen geringe Strafen nach dem Militär-Strafgesetz verhängt wurden. Die nach dem Gesetz wegen Verbrechen Verurteilten wurden dagegen im Spandauer Garnison- oder Festungsgefängnis inhaftiert.
Weitere Festungsgefängnisse gab es in Danzig, Graudenz, Köln, Neisse, Rastatt, Strassburg, Torgau und Wesel.

Militär-Strafgesetzbuch 1875

Grundlage der Verurteilungen war zum Zeitpunkt der Verlegung der Abteilung in das Fort das »Militär-Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich«, eingeführt am 20. Juni 1872. Es löste das bisher geltende »Strafgesetz für das preußische Heer« von 1868 ab. Das neue Gesetz kannte die Bestrafung zu Baugefangenen nicht mehr und war in einzelnen Strafen »moderater« geworden. So verjährte im alten Strafgesetz die Fahnenflucht von den »militärischen Dienstverhältnissen« nicht, im neuen jedoch mit dem Ablauf der Dienstzeit. Weiterhin wurde bei Fahnenflucht als auch bei ehrenrührigem Handeln zur Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes verurteilt. Neben Fahnenflucht war dies Diebstahl, Unterschlagung, Betrug oder Vortäuschen von Krankheit.
Die Dauer der Verurteilung zu Freiheitsstrafe oder Festungsarbeit verlängerte den Wehrdienst. Immer wieder wurden daher Fluchten auch aus der Disziplinarabteilung des Fort Hahneberg versucht, über die in der Presse berichtet wurde. Die Degradierung zum Soldaten zweiter Klasse konnte auf Antrag durch Rehabilitation durch den Kaiser aufgehoben werden. Dafür standen vier feste Termine im Jahr – der 18. im Januar, April Juli und Oktober.

Die Wehrpflicht umfaßte zum damaligen Zeitpunkt insgesamt sieben Jahre, von denen drei zusammenhängend gedient werden mußte. In den weiteren vier Jahren konnte der Reservist zu zwei Übungen mit längstens acht Wochen Dauer gezogen werden. Die Länge der Dienstzeit, die Familien, kleine handwerkliche Betriebe aber auch den Wehrpflichtigen selbst vor Probleme stellte, hatte zur Folge, daß diese auf unterschiedlichem Wege versuchten, sich der Pflicht mindestens teilweise zu entziehen. Diese Versuche wurden verstärkt im dritten Dienstjahr festgestellt. Auslöser bei den »Gemeinen« war der Wunsch, in das zivile Leben zurückzukehren oder sich dem Drill zu entziehen. Wer bereits gedient hatte, versuchte womöglich durch »schlechte Führung« und dadurch erhaltene Strafe nicht mehr als Reservist gezogen zu werden.

Berliner Tageblatt 28.8.1900

Um 1897 wurde daher die Rechtssprechung geändert. Reservisten der Garde, »die sich auch im Zivilstande schlecht führten« mußten künftig ihre Übungen bei der Disziplinarabteilung in Spandau ableisten [Vorwärts 30.6.1897]. Im Mai 1899 berichteten mehrere Zeitungen davon, daß »Die Mannschaften der Disziplinarabteilung … zum größten Teil aus wohlhabenden Familien [stammen] und … vielfach durch leichtsinnige Streiche zur Bestrafung gekommen« waren.
Ein besonderer Fall, in dem beides zusammenkam, ereignete sich im August 1900. Das Berliner Tageblatt berichtete, daß Soldaten der Disziplinarabteilung zu einer Übung in der Döberitzer Heide als »Feind« eingesetzt wurden. Statt wie angeordnet nur mit Platzpatronen zu schießen, setzen mehrere Soldaten gefundene Gewehrkugeln vorangegangener Schießübungen ein und schossen »wohl meist aus Muthwillen« »ohne sicheres Ziel blindlings« scharf auf die übende Truppe [Berliner Tageblatt, 28.8.1900].

In der Regel befanden sich in der Abteilung der Festung Spandau etwa 90 Mann. Eine weitere Disziplinarabteilung des Garde-Korps bestand in der Festung Koblenz. Die Wirkung der nur noch zweijährigen Dienstzeit war so, daß nach Zusammenlegung beider Abteilungen in Spandau dort nur noch um 50 Disziplinarsoldaten [Vorwärts 4.2.1896] untergebracht werden mußten. Bei der Kavallerie wurde die dreijährige Dienstzeit erst später aufgehoben, so daß die Berliner Volkszeitung im September 1901 von zwischenzeitlich wieder 70 Verurteilten berichtete, die Mehrzahl aus der Kavallerie [Berliner Volkszeitung 14.9.1901]. Da mit der Verringerung der Dienstzeit von drei auf zwei Jahre die Vergehen zurückgingen, wurde die Abteilung in Koblenz um 1903 aufgelöst[Lübecker Volksbote 8.5.1903]. Die dort Verurteilten wurden in das Fort Hahneberg nach Spandau verlegt.
Neben den ehemals zwei Disziplinarabteilungen bestanden außerdem noch fünf Arbeiterabteilungen. Hierhin wurden Soldaten versetzt, deren Verurteilung oder spätere Führung eine Rehabilitation nicht zuließen. Gründe waren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Selbstverstümmelung, ehrlose Gesinnung oder wiederholte Bestrafung wegen Bettelei, Diebstahl oder Landstreicherei. Diese Abteilungen bestanden in Ehrenbreitstein, Königstein, Magdeburg, Mainz und Oberhaus bei Passau. [Vorwärts 4.2.1896, Berliner Tageblatt 22.1.1898; nach dem Illustriertes Militär-Lexikon, Berlin 1897 nicht Königstein, sondern Königsberg in Pommern]

Heidelberger Zeitung 7.1.1899

Die Disziplinarabteilung war dem 5. Garderegiment zu Fuß zugeteilt. Die degradierten Soldaten oder Unteroffiziere trugen deren Uniform, einen blauen Waffenrock mit rotem Kragen und weißen Aufschlägen ohne Gardelitzen und eine Mütze ohne Nationalkokarde oder das National-Militärabzeichen. [Vorwärts 21.3.1895 und 4.2.1896] Dadurch waren sie von anderen Uniformierten zu unterscheiden und ihre Flucht war erschwert. Wegen dieser Uniform nannten die Spandauer die Soldaten »Japaner« [Berliner Tageblatt 22.1.1898]. 1899 wurde festgelegt, die Uniform in Spandau mit grünen Achselklappen zu versehen, um mögliche Verwechselung weiter zu verringern. [7.1.1899 Heidelberger Zeitung]
Die Disziplinarsoldaten durften nicht mehr Geld, als eine Mark bei sich führen. Das 1872 abgelöste preußische Militärstrafgesetz hatte bei Desertion noch strafverschärfend festgelegt, wenn der Fahnenflüchtige sich weitere Uniformteile verschaffte. Einige Zeitungsberichte beschreiben, daß die Flüchtigen sich mit dem Verkauf gestohlener Fahrräder versuchten, Zivilkleidung zu verschaffen [Berliner Volkszeitung 26.2.1898, 19.4.1898, Berliner Tageblatt 12.5.1898, 23.8.1900, 13.6.1901, Vorwärts 8.9.1906], wenige, daß Flüchtige sich »zur Tarnung« Uniformteile des 5. Garderegimentes gestohlen hatten. [Berliner Tageblatt 13.6.1901, Vorwärts 8.9.1906]

Der Dienst im Fort war streng geregelt. Die diensthabenden Unteroffiziere sollten dafür sorgen, daß die Verurteilten sich bis zu ihrer Entlassung an die »Gewohnheiten der Armee« angepaßt hatten, wie es Manfred Paul Schulze in seinem Buch »Fort Hahneberg« formuliert.
Die Soldaten der Disziplinarabteilung mußten nur im geringen Umfang, einige Stunden am Freitag exerzieren. Turnen, Bajonettieren und Schwimmen fand nicht statt. Die meiste Zeit wurde Arbeitsdienst auf Schießständen, Exerzierplätzen oder in den Bekleidungskammern abgeleistet. Das bedeutete zum Beispiel Sand anzufahren, die Exerzierplätze, Schießstände oder Kasernenhöfe in Ordnung zu halten und im Sommer die Wiesenflächen zu mähen. Die Gemeinen befanden sich unter ständiger Aufsicht von Unteroffizieren des Regimentes Königin Augusta, die alle vier Wochen abgelöst wurden. Wer sich gut führte, konnte zur ersten Führungsklasse heraufgestuft werden und an Sonn- und Feiertagen allein ausgehen.

Trotz Aufhebung des Festungsstatus für Spandau am 27. Januar 1903 galt für das Fort Hahneberg und die Zitadelle Spandau der Festungsstatus weiter. Das Fort wurde daher bis Ende des Ersten Weltkrieges weiter zur Unterbringung der Disziplinarabteilung des Garde-Korps genutzt.