Ein »Sturmübungswerk«
Was ist das eigentlich?
Bei Sturmübungswerken handelt es sich um Bauwerke, welche Festungsanlagen nachempfunden sind, um den Angriff auf solche möglichst realitätsnah trainieren zu können. Das Sturmübungswerk in Spandau wurde auf dem ehemaligen »Pionier-Landübungsplatz« des in Spandau stationierten Pionierbataillons 3 nach standardisierten Plänen von 1894 errichtet und 1904 noch einmal erweitert, um den Fortschritten im Festungsbau Rechnung zu tragen.
Konkret handelt es sich bei diesem Sturmübungswerk um ein Stück eines Festungsgrabens samt zweier Grabenwehren, vergleichbar mit dem Graben des Fort Hahneberg. Schließlich war es insbesondere der Graben einer Festung, der das eigentliche Hindernis darstellte, den es mit Sturmleitern, Gleitstangen und Schnellbrücken zu überwinden galt. Dies war Hauptaufgabe der Pioniere.
Das Sturmübungswerk war lediglich ein Trainingsgelände des Militärs und kein Teil der Festung Spandau. Heute nutzt die Berliner Polizei das Werk und das an der »Pionierstraße« gelegene Gelände zu Ausbildungs- und Trainingszwecken. Durch die entlegene und eingezäunte Lage und die polizeiliche Nutzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, stellt das Sturmübungswerk ein kleines Geheimnis der Spandauer Geschichte dar, welches wir, die Arbeits- und Schutzgemeinschaft Fort Hahneberg e.V., ein wenig lüften möchten.
Es stellt sich die Frage, warum man nicht das Fort Hahneberg für solche Übungen nutzte, statt ein separates Übungswerk zu errichten. Dafür kommen drei Gründe in Frage. Zum Ersten befand sich die »Schülerbergkaserne«, in welcher das Pionierbataillon 3 untergebracht war, am Askanierring 74. Somit war das Gelände in der Pionierstraße mit vertretbarem Aufwand fußläufig zu erreichen, während das Fort Hahneberg etwa acht Kilometer entfernt liegt. Zum Zweiten war seit 1893 die Disziplinarabteilung des Gardekorps, ein Strafbataillon, im Fort untergebracht. Drittens war es gerade Sinn und Zweck dieser Übungswerke, feindliche Festungen darzustellen, welche es im Ernstfall anzugreifen galt.
Auch wenn der Festungsbau sich damals in Europa staatenübergreifend sehr ähnelte, gab es doch einige nationale Besonderheiten. So stellten die deutschen Sturmübungswerke immer ein Stück typisch französischer Festungsgraben mit einer französischen Grabenwehr dar. 1904 wurden diese standardisierten Sturmübungswerke dann noch um russische Festungselemente und eine zweite Grabenwehr ergänzt. Man hätte das Fort Hahneberg also nicht unerheblich umbauen müssen.
Diese Sturmübungswerke bestanden aus einem circa 6 Meter tiefen Graben, bei welchem, im Gegensatz zum Fort Hahneberg und den meisten anderen deutschen Forts, nicht nur die äußere, sondern auch die innere Böschung mit einer durch Entlastungsgewölbe verstärkten Mauer gesichert war. Auf der Krone der äußeren Grabenwand waren spezielle Zäune, sogenannte »Sturm-« oder »Palisadengitter« montiert, die von den Angreifern überwunden werden mussten, um in den Graben zu gelangen. Dort mußten weitere Hinderniszäune französischer, deutscher und ab 1904 auch russischer Bauart überwunden werden, um schließlich die innere Grabenwand zu erklimmen. Dabei kamen auch diverse Hilfsmittel zum Einsatz. Neben den oben erwähnten Kletter- und Überbrückungshilfen hat man auch den Einsatz von »Brandröhren« geübt. Hierfür wurden Röhren, mit brennenden Substanzen an lange Stangen montiert, die man dann vor die Schießscharten der Grabenwehren hielt. Die austretenden Gase und der Qualm sollten Verteidiger vertreiben, die sich im Innern der massiven Gewölbe in Sicherheit wähnten.
Die Pioniere hatten dabei die Aufgabe, die Voraussetzungen für einen zügigen Grabenübergang zu schaffen, damit die nachfolgenden Infanteristen trotz Beschusses aus den Grabenwehren (welcher bei Übungen selbstverständlich nicht zum Einsatz kam) mit zahlenmäßiger Überlegenheit das Innere der angegriffenen Festung besetzen konnten. Dies kann man gut auf der historischen Aufnahme einer Übung in Spandau erkennen.
Ursprünglich waren diese Übungswerke nur mit einer Grabenwehr ausgestattet, welche an die innere Grabenwand angebaut war. Um 1904 kam dann aber noch eine weitere Grabenwehr in der äußeren Grabenwand hinzu, da sich auch der Festungsbau weiterentwickelte, der Verbesserung der Steilfeuergeschütze Rechnung tragend. So ist hier in Spandau eine deutliche Baufuge zwischen dem ursprünglichen Übungswerk von 1894 und dem zehn Jahre jüngeren Anbau erkennbar. Über dieser nachträglich angefügten außen liegenden Grabenwehr (»Kontereskarpkoffer« oder »Reverskaponniere«) findet sich in aufgebrachtem Beton noch der eingeritzte Spruch »Deutsche, vergesst nicht eure Kolonien«. Ein historisches »Sgrafitto« aus der Übungszeit.
Ein Effekt dieser Übungen dürfte es auch gewesen sein, zu lernen, wie man eigene Festungen bauen musste, um solchen Angriffen trotzen zu können. Die Architektur von Artilleriefestungen entwickelte sich auf diese Weise weiter und so unterlagen die Festungen vieler Nationen teilweise bis nach Ende des Kalten Krieges einer fortwährenden Evolution.
Man kann es gar nicht stark genug betonen, dass sich Spandau glücklich schätzen kann, noch ein solches Kleinod zu besitzen! Der Erhaltungszustand des hier beschriebenen Sturmübungswerkes ist gut. Von den erwähnten Hindernisgittern sind zwar nur noch Reste der Verankerungen zu sehen, aber das Mauerwerk präsentiert sich fast vollständig. Lediglich ein Abschnitt einer freistehenden Mauer auf der inneren Grabenseite ist offenkundig der Spitzhacke oder Sprengübungen zum Opfer gefallen. Dass die Entlastungsbögen der gemauerten Grabenwände grabenseitig offen stehen, entspricht jedoch dem Originalzustand.
Wenn man ein vergleichbares Werk in diesem Erhaltungszustand besichtigen will, muss man nach jetziger Kenntnis bis ins polnische Grudziaz (ehemals Graudenz) fahren, wo ein identisches Werk in den Graben der dortigen »Feste Courbière« integriert wurde. Obwohl es im ehemaligen Deutschen Reich bis zu 23 dieser untereinander baugleichen Sturmübungswerke gegeben haben dürfte (der Zahl der zu dieser Zeit existierenden Pionierbataillone entsprechend), ist außer den beiden genannten Werken in Graudenz und Spandau, vermutlich kein weiteres mehr erhalten. Belegte Standorte waren neben Spandau und Graudenz, Hannoversch-Münden, Köln, Magdeburg, Mainz, Münsingen, Riesa, Ulm und womöglich auch die Berliner Hasenheide.
Wir möchten uns ganz herzlich bei der Berliner Polizei bedanken, dass uns die Möglichkeit gegeben wurde, den aktuellen Stand des alten Sturmübungswerkes zu dokumentieren und unsere Bilder und Videos zu veröffentlichen. Diese dürfen nur für nicht kommerzielle Zwecke genutzt werden.
Ferner bedanken wir uns auch bei Peter Klein und Markus Theile vom Interfest e.V. für ihre überaus hilfreiche Recherchearbeit.
Text: Sebastian Höbig, Sascha Kürten
Aktuelles Bildmaterial: Sascha Kürten
Historisches Bildmaterial: Sammlungen Christoph Berndt und Sebastian Höbig
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